Geschichte von Rückeroth

(von den Anfängen bis zur Reformation)

Die Geschichte des Ortes ist untrennbar mit der Geschichte der Rückerother Kirche verbunden. Dies gilt vor allem für den Kirchplatz, also die kleine Anhöhe inmitten des Dorfes, auf der das Gebäude der Rückerother Kirche einen würdigen Platz gefunden hat, und mit seinem in der Nähe befindlichen Brunnen an eine vorchristliche Heiligenstätte erinnert.

Die Anfänge der Geschichte des Ortes und der Kirche liegen im Dunkel der Vergangenheit. Sie ein wenig aufzuhellen, soll Ziel dieses Beitrages sein.

Eines darf man jedoch nach neuerer Urkundenlage schon vorwegnehmen: Kirche und Ort blicken auf eine längere Vergangenheit zurück, als man bisher annehmen durfte. Doch dazu später mehr.

Die Besiedlung der Gegend um Rückeroth, als es den Ort ganz sicherlich noch nicht gab, lässt sich lediglich anhand urgeschichtlicher Siedlungsreste vermuten.

In der ausgehenden jüngeren Steinzeit  (ca. 2000 v. Chr.) begegnen sich hier die Völker der nordisch-mitteldeutschen „Bandkeramiker“, so genannt nach den Schnur- oder Bandverzierungen auf ihren Gefäßen, mit Funden von Bendorf und Heimbach, und der südwesteuropäischen „Zonenbandkeramiker“, der sog.  „Glockenbecherkultur“, die aufgrund von Fundstücken zwischen Heddesdorf und Gladbach und bei Herschbach (Unterwesterwald) belegt ist (*1 u. 2). Beide Kulturen mischen sich in unserem Raume zur sog. „jungsteinzeitlichen, rheinischen Becherkultur“.

Seit der jüngeren Eisenzeit (Früh-Latène-Zeit, ca. 500 v. Chr.) machen sich in unserem Raum stärker keltische Einflüsse bemerkbar. Die Kelten sind das älteste Volk unserer Gegend, dessen Namen wir kennen, bis dann im 2. Jahrhundert v. Chr. germanische Ubier auf dem rechten Rheinufer vordringen(*1 u. 2). In ihr Siedlungsgebiet rücken später Usipeter und Tencterer nach.

Die Auseinandersetzungen zwischen den Kelten und Germanen enden damit, dass z. Zt. Caesars (58 – 51 v. Chr.) das rechtsrheinische Gebiet ausschließlich von Germanen bewohnt wird.

Aber auch die Römer beschränken sich keineswegs nur auf die Besiedlung des linken Rheinufers – der Limes nahe Montabaur legt hierüber Zeugnis ab.

Für Rückeroth fällt in diese Zeit der spätere Fund eines (keltischen) Mahlsteines aus der Latène-Zeit in der Gemarkung „Hoher Rain“ am „Vallendarer Weg“, einer wohl sehr frühen Verbindung zwischen der Hohen Straße und dem Rhein (*3).

Unserer Gegend dürfte zu Beginn der neuen Zeitrechnung dünn besiedelt gewesen sein, und zwar von Usipeter und Tencterer, in der späteren Zeit von Usipier und Tubanten, die schon früh im Frankenbund aufgingen (*1).

Schon etwa 100 Jahre vor der siegreichen Schlacht des Merowingerkönigs Chlowig über die Alemannen im Jahre 496 gehört unsere Gegend in den Macht- und Siedlungsbereich der Franken (*2).

Von den Franken, insbesondere den sog. Moselfranken legt unser Dialekt beredtes Zeugnis ab (*4).

Die politische Machtentfaltung der Franken vollzieht sich nicht nur in der Merowingerzeit, sondern bis in die Karolingerzeit (ab ca. 750) hinein, in der unser Raum nun vollends durch das Zunehmen von schriftlichen Quellen in das Licht und Blickfeld der Geschichte rückt (*2).

Einen ersten Hinweis auf die Gründung unseres Ortes gibt der Ortsnamen selbst mit seiner Endsilbe „roth“.

Nach  Dr. Gensicke (*1) fällt die Gründung des Ortes Rückeroth in die Zeit der vierten Rodungsperiode der Karolingerzeit ab dem 9. Jahrhundert, die „den Ackerbau in den Wald vortrug“.

Das Reich (Franken-Reich unter Karl dem Großen, 800 bis 814) war seinerzeit in Gaue gegliedert. An der Spitze des Gaues stand als Gaugraf meistens der Bischof.

Die Diözese wurde mit Untergang der Chorbischöfe (Landbischöfe) in Archidiakonate aufgeteilt und diese nochmals in Dekanate unterteilt.

Unsere Gegend gehörte kirchlich dem Erzstift Trier, Archidiakonat Dietkirchen, Dekanat Engers an, und es ist auch davon auszugehen, dass unsere Gegend von Trier aus missioniert, d. h. christianisiert wurde.

Trier ist bereits vom frühen Mittelalter (6. – 9. Jh.) Bischofsitz. Vom 13. – 18. Jh. hatten die Bischöfe von Trier die Kurwürde inne; sie waren somit Kurfürst-Erzbischöfe.

Politisch deckte sich das Dekanat Engers mit dem Engergau (*5).

Und als Gaugrafen im Engersgau erscheinen zu Beginn der 1. Jahrtausendwende die Grafen von Wied. Der erste dieses Geschlechts ist Metfried von Wied (1093-1123), der einem Grafen Wigger-Widekind aus dem Hause der Grafen von Bilstein an der Werra gefolgt war. Das Bilsteiner Grafen-Geschlecht wird 857 und 880 urkundlich erwähnt und hatte einen Grafen Ruadger beerbt, der als Graf Rucker von Bilstein auch einmal Rucker von Wied genannt  wird.

Die Rodungssiedlung Rückeroth im Grenzgebiet des Engersgaues dürfte nach seinem Grundherren, einem Rucker, benannt worden sein. Und nach Pauly (*6) könnte dieser mit einem Grafen Ruodger identisch sein, der in der Urkunde des Trierer Erzbischofs Theutgaud über den Zehntbezirk des Koblenzer Kollegiatstifts St. Kastor in Rengsdorf (857) und dann nochmals für das Jahr 880 genannt wird.

Und Pauly führt dazu weiter aus: Eine frühe Gründung der Rodungssiedlung (Rückeroth) im 9. oder spätestens im 10. Jahrhundert liegt wohl auch deshalb nahe, weil die später genannte Filiale Dreifelden im nördlichen Teil des Pfarrbezirks nach Grabungen in neuester Zeit Bauteile des 11. Jahrhunderts enthält (Fischgrätenmuster der Südwand des Kirchenschiffes und damit wohl eine der ältesten Kirchen im Westerwald).

Das Pankratius-Patrozinium der Pfarrkirche in Rückeroth begegnet bereits in den ältesten Trierer Festkalendern seit dem 10. Jahrhundert, so dass der Annahme einer Gründung der Pfarrkirche (und damit auch Gründung des Ortes) geraumer Zeit vor der Gründung der ihrer Filialkirche nichts im Wege steht (*6). Damit ist selbstverständlich nicht die sichtbare Bausubstanz der heutigen Kirche in Rückeroth gemeint.

Im Jahre 1246 findet die urkundliche Ersterwähnung von Rückeroth statt, und zwar in einer Urkunde des Stifts Essen, in welcher der Pfarrer von Rückeroth, genannt als „Plebano G. de Rockerode“ als Zeuge benannt wird. Das Original der Urkunde existiert nicht mehr. Sie ist jedoch belegt durch eine Abschrift von Nicolaus Kindlinger im Allgemeinen Archiv für die Geschichtskunde des Preußischen Staates, und zwar im 2. Band (1830), Seiten 316 – 317, von Leopold v. Lebedur sowie in den Mittelrheinischen Regesten III Nr. 434 von Ad. Goerz (1881) (*7).

Und 1259 wird auch die Rückerother Kirche erstmals urkundlich bezeugt in einer Teilungsurkunde nach dem Tod des Grafen Lothar von Wied (+1244) zugunsten seiner Schwestersöhne Bruno von Braunsberg und Gottfried von Eppstein (*5).

Rückeroth verdankt seine Gründung vermutlich seiner Grenzlage.

Im Norden stieß Rückeroth an die Grundherrschaft Herschbach. Sie kam ursprünglich über die Landgrafen von Thüringen an Gräfin Mechthild von Sayn und fiel schließlich 1310 an die Herren von Isenburg-Arenfels. 1664 nahm Kurtrier Herschbach in Besitz (*10).

Und im Süd-Osten wurde das wiedische Rückeroth vom Bann Maxsain begrenzt, in dem die Grafen von Sayn Obrigkeits-Ansprüche stellten; ein Streit, der erst 1615 beigelegt werden konnte.

Bereits vor 1346 statten die wiedischen Grafen Rückeroth als „Hohe Feste“ aus, d. h. Rückeroth wurde Sitz eines Landgerichts mit Blutgerichtsbarkeit (*8). Hiervon zeugen heute noch die nahe der Kirche stehende „Gerichtslinde“ (*9) und der Flurnamen „Galgenrain“.

Nach einem vorliegenden Visitations-Prokokoll vom 07.02.1556  ist mit diesem Tag die Reformation in Rückeroth als „abgeschlossen und eingeführt“ anzusehen. Die vorausgegangene Einführung der Reformation in der zum Erzbistum Trier gehörenden Grafschaft Wied ist vor allem Graf Hermann von Wied zu verdanken, der von 1513 bis 1546 Erzbischof und Kurfürst in Köln war. Er war der Onkel des amtierenden Grafen Johann von Wied. Diese Verwandtschaftsbeziehung war wohl auch der Grund dafür, dass der Erzbischof von Trier die Grafschaft in Ruhe ließ (*5).

                                                                 (Wilfried Göbler, Stand: 18.07.2002)

 

Quellen:

  1. Hellmuth Gensicke (Landesgeschichte des Westerwaldes, 1958)
  2. Karl Kessler (Vor- und Frühgeschichte des Westerwaldes, 1978)
  3. Karl Kessler (Bief vom 18.10.1989)
  4. Wilfried Göbler (Rückerother Wörterbuch, 2002)
  5. Heinrich Görnert (700 Jahrfeier Rückeroth, 1959)
  6. Ferdinand Pauly (Siedlung und Pfarrorganisation im alten Erzbistum Trier - 16. Die Kirche St. Pankratius in Rückeroth)
  7. Wilfried Göbler (Wäller Heimat, 1991, Seite 106-107)
  8. August Welker (Selters – ein alter Amtsort)
  9. Wilfried Göbler (Wäller Heimat, 1993, Seite 115-116)
  10.  Hermann Josef Roth (Der Westerwald, DuMont Kunst-Reiseführer, 1982)